Nimmt man die hochfahrenden Erwartungen an den Kopenhagener Klimagipfel zum Maßstab, müsste der klimapolitisch aufgeklärte Teil der Welt nach dem Fehlschlag der Konferenz in Depression versunken sein. Das scheint aber, trotz aller Kritik am Versagen der versammelten Regierungseliten, nicht der Fall zu sein: Ausdruck von Zynismus oder Zuversicht, dass die ökologische Transformation der Industriegesellschaft so oder weitergehen wird?
Keine Frage, Kopenhagen war ein böser Rückschlag. Ob es doch noch zu einem völkerrechtlich verbindlichen Nachfolgeabkommen für das Kyoto-Protokoll kommen wird, ist eine offene Wette. Dafür müssten sich vor allem die alten Industriemächte, vorneweg die USA, und die aufsteigenden Giganten wie China und Indien noch ein großes Stück aufeinander zu bewegen. Denn abgesehen von der überkomplexen Architektur der UN-Klimaverhandlungen, in denen sich 192 Staaten einstimmig auf ein Vertragsdokument einigen müssen, waren es vor allem die Interessenkonflikte zwischen den alten und den neuen Wirtschaftsmächten, die zum Scheitern der Konferenz führten.
Seit der Einigung über das Kyoto-Protokoll im Jahre 1997 haben sich die Gewichte zwischen der alten und der neuen Welt weiter verschoben. Die USA ächzen unter riesigen Handelsbilanzdefiziten, Staatsschulden, veralteter Infrastruktur und einer energieintensiven, kaum noch wettbewerbsfähigen Industrie, während China zum größten Gläubiger der Vereinigten Staaten geworden ist. Die Westeuropäer haben früher mit der ökologischen Modernisierung begonnen und stehen deshalb besser da, haben aber ebenfalls mit enormen ökonomischen und finanziellen Problemen zu kämpfen. Daher beharren beide darauf, dass auch die neuen Industrienationen sich zumindest auf mittlere Sicht auf eine Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen verpflichten, um ihnen den Wettbewerbsvorteil von Gratis-Emissionen zu nehmen.
Die Kopenhagener Konferenz wurde noch in der alten Logik geführt, in der Klimaschutz als ökonomische Bürde gilt. Das Tauziehen ging um die Lastenverteilung zwischen der ersten, zweiten und dritten Welt: wer muss sich zu wie viel Emissionsminderung verpflichten, wer finanziert den Transfer umweltfreundlicher Technologien in die Entwicklungsländer und wer kommt für die Anpassungsinvestitionen in den armen Ländern auf, die am heftigsten vom Klimawandel bedroht sind. Diese Logik steht jedoch auf der Kippe – und genau das lässt hoffen. Denn die Einsicht gewinnt an Boden, dass Klimaschutz eine Quelle für neuen Wohlstand werden kann. Der Übergang vom fossilen Industriezeitalter in eine Epoche erneuerbarer Energien, ressourceneffizienter Produkte und öko-intelligenter Technologien ist ein potentieller Jungbrunnen für die alten Industrieländer. Die grüne industrielle Revolution wird in großem Stil neue Produkte, Dienstleistungen und Jobs hervorbringen. Sie wird den Import von Öl, Gas und Kohle durch Energiespartechnik, Wind- und Sonnenenergie ersetzen, das Gesicht unserer Städte verändern und das Verkehrssystem erneuern. Sie eröffnet ein weites Feld für Forscher und Ingenieure, Unternehmer, Bauern, Stadtplaner, Produzenten und Konsumenten.
Auch wenn noch ein weiter Weg vor uns liegt: die große Transformation hat bereits begonnen – im Energiesektor, im Bauwesen und der Industrie, in Europa wie in den USA und in China. In vielen Ländern ist die gesellschaftliche und technische Entwicklung schon weiter als das in der Klimadiplomatie zum Ausdruck kommt. So investiert Indien in den kommenden Jahren massiv in Wind- und Solarenergie. China hat in Kopenhagen eine Bremserrolle gespielt, treibt aber im eigenen Land Energieeffizienz und den Ausbau erneuerbarer Energien voran. Ähnliches lässt sich für die USA sagen, wo privates Wagniskapital in großem Stil in umweltfreundliche Technologien und "grüne" Pionierunternehmen fließt, auch wenn die aktuelle Wirtschaftskrise dem Öko-Boom einen Dämpfer versetzt hat. Der Lebensstil der meinungsbildenden Eliten beginnt sich zu ändern, "organic" und "environmentally responsible" sind chic geworden. CO-2-Bilanzen und Nachhaltigkeits-Indikatoren spielen für langfristig orientierte Anleger eine wachsende Rolle. Und die Ankündigung von Bundesminister Röttgen, unabhängig von Kopenhagen am Ziel festzuhalten, die deutschen CO-2-Emissionen binnen der nächsten 10 Jahre um 40% im Vergleich zu 1990 zu reduzieren, ist ein Hinweis darauf, dass Klimaschutz auch jenseits der Grünen als Chance gesehen wird.
Sicherlich spielen politische Weichenstellungen eine entscheidende Rolle für Tempo und Schwungkraft der anstehenden Veränderungen. Die Weiterentwicklung des CO-2-Emissionshandels, der ökologische Umbau des Steuersystems, anspruchsvolle Effizienzstandards für Geräte und Gebäude und der Ausbau eines "smart super grid" zur Integration der erneuerbaren Energien in das Stromnetz bleiben zentral. Aber die Zukunft hängt nicht allein von den Regierungen ab. Wir alle können und müssen zu Akteuren der ökologischen Wende werden.
International sollten wir das Ziel eines verbindlichen Klimaschutzabkommens im Rahmen der Vereinten Nationen nicht aufgeben. Aber niemand muss auf den ganz großen Konsens warten. Die Bremser dürfen nicht das Tempo aller bestimmen. Parallel zur globalen Klimadiplomatie sollten Bundesregierung und Europäische Union deshalb auf "coalitions of the willing" setzen und die Kooperation mit den Staaten vorantreiben, die bereit sind, eine Pionierrolle auf dem Weg in eine nachhaltige Weltwirtschaft zu spielen. Vor allem aber muss die EU ihre Hausaufgaben machen. Eine „Europäische Gemeinschaft für erneuerbare Energien“ mit dem Ziel, die europäische Energieversorgung bis zur Mitte des Jahrhunderts voll aus erneuerbare Quellen zu decken, muss zum nächsten großen Gemeinschaftsprojekt werden.
Von Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.
Dieser Text ist das Editorial der nächsten Ausgabe von Böll.Thema 1/2010 – „Going Green – die Zukunft hat begonnen".
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Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.